Magazine März 2016

Die textile Welt im Blick: von Forschung bis Systemdenken

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Die Grundlagenentwicklung

Faserverbundkunststoffe werden seit rund 50 Jahren industriell vor allem als Leichtbauwerkstoff hergestellt und genutzt. Sie gelten als die Materialien der Zukunft. Ihre besonderen Eigenschaften versprechen hohe Wachstumsraten, insbesondere im Bereich der carbonfaserverstärkten Verbundkunststoffe, die beispielsweise in der Luftfahrt-, der Automobil-, aber auch der Bauindustrie zum Einsatz kommen.

Eine Herausforderung beim Einsatz der Verbundkunststoffe sind die häufig höheren Herstellungskosten als bei Metallen, insbesondere bei Bauteilen mit sehr hohen Stückzahlen. Es gibt bereits viele Ansatzpunkte zur Optimierung der Kosten des Produktes im Bereich der Forschung und Entwicklung. Dabei spielen zum einen Prozessoptimierungen der unterschiedlichen Fertigungsschritte eine wichtige Rolle, aber auch die Minimierung der Materialkosten.

Insbesondere bei Carbonfasern, aber grundsätzlich auch bei Glasrovings, gilt die allgemeine Regel, dass der Materialpreis mit zunehmendem Titer sinkt, d.h. je gröber die Faser, desto geringer der Materialpreis. In den letzten Jahren wurden daher zunehmend sogenannte Heavy-tow-Carbongarne (z.B. 50k entspricht 50.000 Filamenten pro Filamentgarn) auf den Markt gebracht. Diese groben Garne haben einen tendenziell geringeren Preis als feine Carbonfilamentgarne mit einem niedrigeren Titer von 3k bis 24k.

Die mechanischen Eigenschaften der Fasern sind grundsätzlich ähnlich wie bei den Garnen mit geringeren Titern. Allerdings führt die Dicke der Filamentgarne zu einer schlechteren Verarbeitbarkeit, was sich durch Beschädigungen der Filamente und einer weniger belastungsgerechten Positionierung der Garne beziehungsweise Filamente im späteren Bauteil bemerkbar macht.

Im Entwicklungsfeld Composites der Forschungsgesellschaft für Textiltechnik Albstadt (FTA) ist es das Ziel, die Herstellung von Composite-Bauteilen auf Basis textiler Strukturen zu optimieren und damit kostengünstiger zu gestalten. So wurde in Zusammenarbeit mit der Groz-Beckert KG an der Verarbeitung der groben Verstärkungsgarne zu verbesserten textilen Strukturen gearbeitet.

In einem Grundlagenprojekt wurde auf einer Greiferwebmaschine das Groz-Beckert PosiLeno®-System zur Herstellung von Drehergeweben so adaptiert, dass unidirektionale und bidirektionale Gelege (NCF = Non-crimp fabrics) hergestellt werden können.

Diese neuen textilen Flächen brachten einige Vorteile mit sich: So konnten Laboruntersuchungen der FTA in Zusammenarbeit mit externen Instituten zeigen, dass die unidirektionalen Gelege in einem Flächengewichtsbereich von 400–1300g/m² eine bessere Drapierbarkeit, schnellere Tränkbarkeit und bessere mechanische Eigenschaften aufweisen, als die als Benchmark herangezogenen unidirektionalen Gelege auf Basis der herkömmlichen Multiaxialgelege-Technologie. Diese neuartigen textilen Strukturen wurden inzwischen von Groz-Beckert patentiert.

Für die Bewertung der Industrialisierbarkeit und des Kundennutzens dieser Technologie wurden Anwendungen beziehungsweise Bauteilhersteller identifiziert, die die neuartigen textilen Flächen testen und bewerten. Als kompetenter und innovativer Partner fand sich die Schmuhl Faserverbundtechnik GmbH & Co. KG

Die Produktentwicklung

Die Schmuhl Faserverbundtechnik (FVT) ist Hersteller von anspruchsvollen Kunststofferzeugnissen mit mehr als 20 Jahren Erfahrung, insbesondere im Bereich hochfester Composites. Die Kompetenzen des Unternehmens liegen in der Entwicklung, dem Prototypenbau und der Serienfertigung von Faserverbunderzeugnissen. Die Produkte erfüllen höchste Anforderungen bezüglich Toleranzen, Leichtbau, Festigkeit und Steifigkeit. Seit 1986 wurde umfangreiches Know-how zur wirtschaftlichen Serienfertigung anspruchsvoller Bauteile und Systeme konsequent entwickelt – insbesondere auf dem Gebiet des RTM-Fertigungsverfahrens (RTM = Resin Transfer Moulding). Schmuhl FVT ist der optimale Partner, wenn es um die Herstellung kompletter Systeme und Faserverbundbauteile geht.
Schmuhl entwickelt und produziert unter anderem Patientenliegen für Computertomographen (CT). Diese Liegen müssen zum einen bestimmte mechanische Lasten tragen, gleichzeitig aber auch eine ausreichende Röntgentransparenz gewährleisten. Aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften stellen carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK) hierbei den optimalen Werkstoff dar. Diesen hohen Anforderungen galt es bei Schmuhl gerecht zu werden.
Derzeit bestehen solche Patientenliegen aus einem Sandwichaufbau mit einem Schaumkern und Decklagen aus Carbonfasertextilien.

Die CFK-Decklagen bestehen aus 0°/90°-Geweben und aus unidirektionalen Gelegelagen in der Mitte. Die Konstruktion der Liege weist sowohl in der Breite als auch am Kopfteil der Liege Krümmungen auf. Das hatte zur Folge, dass bisher mehrere unidirektionale Gelegelagen mit einem maximalen Flächengewicht von 300g/m² aufgebracht werden mussten, um der Bauteilgeometrie der Liege zu folgen, ohne beim Einlegeprozess Lagenverschiebungen zu erzeugen oder beim Schließen der Form Falten zu werfen. Dies führte wiederum zu einem erhöhten Zeitaufwand in der Herstellung.

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Die Aufgabenstellung

Um den Aufwand für den Lagenaufbau im Werkzeug zu reduzieren, gleichzeitig einen konstanten Lagenaufbau sicherzustellen und um einen günstigeren gewichtsbezogenen Preis für das Textil zu realisieren, wurde eine Verdreifachung des Flächengewichts bei gleichzeitig hoher Drapierbarkeit der Textilien angestrebt, wodurch der Anteil der Fertigungskosten im Verhältnis zum Gewicht gesenkt werden könnte. Gleichzeitig durften die Tränkbarkeit und Verarbeitbarkeit der Textilien sowie die physikalischen und mechanischen Eigenschaften nicht negativ beeinflusst werden.

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Das Ergebnis

Mithilfe des adaptierten Groz-Beckert PosiLeno®-Systems konnte für dieses Anforderungsprofil ein drehergewebtes NCF aus Heavy-tow-Carbongarnen mit einem Flächengewicht von 900g/m² entwickelt werden.

Das Gelege kann ohne Probleme der Bauteilgeometrie folgen, so dass Schmuhl das Belegen der Formen mit dem erwarteten geringeren Zeitaufwand realisieren kann. Durch die Verfestigung der Textilfläche in Z-Achse wird eine ungewollte Verschiebung der Lagen beim Einlegen der Verstärkungsmaterialien oder dem Schließen der Form vermieden. Zudem konnte die bessere Tränkbarkeit auch in dem von Schmuhl genutzten Prozess in Form kürzerer Infusionszeiten nachgewiesen werden. Des Weiteren wurde auch die Qualität der Oberfläche positiv beeinflusst.

Die Ergebnisse der Versuche bei Schmuhl waren so positiv, dass die entwickelten drehergewebten Carbon-NCF für die Serienfertigung der Liegen ausgewählt wurden und in der Zwischenzeit auch in Serie eingesetzt werden. Zudem erfolgt derzeit der Serienanlauf eines zweiten Produktes für die Medizinindustrie, bei welchem das Material aufgrund der Erfahrungen in der Prototypenfertigung den Vorzug erhielt, da im Vergleich zu den bisher verfügbaren, kettengewirkten unidirektionalen Materialien die Teileoberfläche signifikant besser realisiert werden kann.

Die Herstellung der drehergewebten NCF erfolgt vorerst im Technologie- und Entwicklungszentrum (TEZ) der Groz-Beckert KG, bis diese an einen industriellen Partner ausgelagert werden kann. Das dabei entstandene Wissen wird wiederum genutzt, um die Stabilität des Fertigungsprozesses zu beurteilen und weitere Optimierungspotenziale aufzudecken, um diese gemeinsam mit dem TEZ und Partnern ausschöpfen zu können.

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Statement der Firma Schmuhl

„Durch die Zusammenarbeit mit der FTA und dem TEZ ist es uns gelungen, die Herstellung der Liegen wirtschaftlich zu optimieren. Der Einlegeaufwand konnte deutlich reduziert werden. Durch die bessere Drapierbarkeit wird das Handling einfacher und das Formschließverhalten positiv beeinflusst. Die bessere Tränkbarkeit verkürzt zudem unsere Prozesszeiten. Auch die Qualität der Oberfläche des ausgeformten Teiles konnte verbessert werden.

Der Einsatz dieser neuentwickelten, drehergewebten Textilien bietet unserer Meinung nach großes Potenzial, allem voran bei höheren Flächengewichten. Für uns war die Kooperation ein rundum gelungenes Projekt. Wir freuen uns schon auf die weitere Zusammenarbeit.

Aktuell wird das entwickelte Textil in zwei Produkten für die Medizinindustrie eingesetzt.“